juni-juli 1999

Doc Holliday

Die drei vom Leukoplast-TÜV

Über willige Vollstrecker und letzte Widerstandsnester bei Flüchtlingsabschiebungen

»Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? Heute niemand mehr«

(Hans Krankl)

Die Paraphrase eines bekannten Sinnspruchs heißt: wenn einer eine Reise tut, kann er was erleben. Falls er überlebt, möchte man anläßlich der Ereignisse rund um den Tod des 26jährigen Nigerianers Marcus Omofuma, der während seiner Abschiebung auf dem Flug von Wien nach Sofia qualvoll erstickte, sagen. Daß der Afrikaner vor seinem Ableben noch etwas von den Feinheiten des hiesigen Umgangs (sprachlichen Ausdrucks) kennenlernte, dafür sorgten drei Beamte der österreichischen Fremdenpolizei, die den Schubhäftling bis nach Nigeria begleiten sollten. Am 1. Mai leisteten die Staatsdiener ganze Arbeit. Sie fesselten und knebelten den Gefangenen, u. a. mittels eines Klebebands über dem Mund, wahrscheinlich auch über der Nase. Sicher ist, daß Omofuma diese Prozedur nicht überlebt hat. Karl Kraus stellte einst fest: »Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht«. Voll ins Schwarze getroffen - und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Besonders degoutant muten die posthumen Kriminalisierungsversuche des Opfers an. Offen bleibt die Frage, wer etwas von der Praxis des Mundverklebens oder vom Gebrauch von Klebebändern gewußt hat. Der Chef der Salzburger Fremdenpolizei, Rudolf Feichtinger, erklärte, daß auch seine Beamten in einigen Fällen, wenn die Häftlinge Widerstand leisten, etwa Anfang März bei der Abschiebung eines Peruaners, »Klebeband zur Fesselung verwendet haben, nie aber ist Knebeln vorgekommen«. Die nüchternen Zahlen für Salzburg: im vorigen Jahr gab es 545 Abschiebungen, 142 erfolgten per Flugzeug. Mit wenigen Ausnahmen wurden diese Personen nach Wien gebracht. 1998 und in den ersten vier Monaten dieses Jahres kam es jeweils nur in zwei Fällen zur Polizeibegleitung der Häftlinge im Flugzeug.

Für visalose Ausländer gelten die Menschenrechte offensichtlich nicht. In den Augen des Gesetzgebers und seiner Vollzugsorgane sind Migranten und Flüchtlinge nur lästiges, weil Arbeit verursachendes, menschliches Frachtgut. Die »Zwischenlagerung« im Häfen, einschließlich kompletter Videoüberwachung auch auf der Toilette, ist Teil eines Kontrollsystems, das den arretierten, zumeist nicht straffällig gewordenen Menschen, jegliche Würde nehmen soll. Abseits von Multikulti-Euphemismus und Lichterketten-Gutmenschentum stellt sich die Frage: wer kümmert sich um diese Rechtlosen? Afrikanische »Selbsthilfegruppen« sind in Salzburg nicht mehr tätig. Bis vor fünf Jahren gab es immerhin noch den rührigen Verein »Ebony & Ivory«. Derzeit leisten vor allem kirchliche Organisationen die tagtägliche Basisarbeit. Etwa der Evangelische Flüchtlingsdienst (EFD), der sich seit 1996 um die Schubhäftlinge kümmert - seit letztem Jahr auch auf Basis eines Vertrages mit dem Innenministerium. Katholische Organisationen wie die Caritas oder »Die Brücke« sind ebenfalls in der Flüchtlingsbetreuung engagiert. Oft können die Helfer mit ihrem psychologischen Beistand aber nur für eine möglichst widerstandslose Haltung der Häftlinge sorgen. Eine bestenfalls für die Vollzugsbeamten befriedigende Lösung. In Österreich gibt es nur individuelle Auflehnung. Daß es auch anders gehen kann zeigt ein Blick ins Ausland. In der BRD wurde im Herbst 1997 von verschiedenen antirassistischen Gruppen sowie von Flüchtlings-initiativen aus dem autonomen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Spektrum eine Kampagne gestartet, die den Namen »Kein Mensch ist illegal« trägt. Wichtigste Form der unmittelbaren Hilfeleistung ist das Werben und Eintreten für das Kirchenasyl, eines der letzten Schlupflöcher um bevorstehende Abschiebungen zu verhindern.

Eine spektakuläre Aktion ereignete sich voriges Jahr in Frankreich. Zwölf »Illegale« sollten per Flugzeug nach Mali abgeschoben werden, hatten sich aber widersetzt und die Passagiere des Linienflugs zur Solidarisierung aufgefordert, woraufhin sie von den begleitenden Polizisten an ihre Sitze gefesselt und auch geknebelt wurden. Etliche Reisende hatten aber gegen diese Methoden protestiert und sich geweigert Platz zu nehmen und den Abflug zu ermöglichen. Den Beamten war nichts anderes übriggeblieben, als die Zwölf loszubinden und mit ihnen von Bord zu gehen.

Im Zuge des Jugoslawien-Krieges, bei dem die NATO sich auf die Durchsetzung der Menschenrechte beruft und damit auch die Bombardierung der Zivilbevölkerung rechtfertigt, vermeldeten die heimischen Medien und Politiker voller Stolz, daß die Österreicher Spenden-Weltmeister seien. Jetzt, da aus »Nachbar in Not« ein »Sitznachbar ist tot« geworden ist, zeigt sich der Propagandacharakter solch humanitärer Jubelposen.