juni-juli 1999

Hans Lindenbaum

Hauptbahnhof & Historie, Häuslbauer & High-Tech

Der Salzburger Hauptbahnhof wird eine harmonische multifunktionale Kathedrale des Kapitalismus

Seit Jahren wird am Hauptbahnhof herumgebastelt. Einmal entsteht ein neues Klo (behindertengerecht und sandlersicher), dann wieder ein neues Wartehäuschen (Modell Gewächshaus), schließlich ein Marmortrog mit ÖBB-Logo und Plastikpflanze. Aus tristem Grau entpuppen sich zwischendurch, nach gelungener Sanierung, putzige schönbrunngelbe Gebäude aus der Jahrhundertwende. »Kein Geld, niemand zuständig - es ist ein Jammer«, klagen die bahneigenen Professionisten, deren Arbeit Jahrzehnte hindurch auf das Wirken von Häuslbauern reduziert ist.

Für sie ist jetzt Schluß mit dem Herumbandeln. Mitte Mai, Schloß Mirabell, Präsentation des Projekts »Neubau Salzburg Hauptbahnhof« im Zuge der »ÖBB-Bahnhofsoffensive«. Bürgermeister Heinz Schaden (SPÖ) senkt bedeutungsvoll sein Kinn und spricht von einem »markanten Eingriff in die Silhouette«. Stadtrat Johann Padutsch (Bürgerliste) räumt ein, er, das Mitglied der Jury, habe »zu Beginn des Projekts diese Großzügigkeit nicht vermutet«, Generaldirektor Helmut Draxler sagt: »Das wird ein Architekturerlebnis, wir setzen es so schnell wie möglich um.« Denn: »Die Beschlüsse in der Kapitalgesellschaft ÖBB haben das Vorhaben schon auf die Schiene gebracht.«

Glas, Stahl, Service, Shopping. Kaum ein Stein soll auf dem anderen bleiben. Allein die Hochbauten sind mit 600 Millionen Schilling kalkuliert. 400 weitere Millionen wollen sich die ÖBB nötige Umbauten der Gleisanlagen kosten lassen. Die Ausgaben der vergangenen Jahre scheinen nun nicht nur verlorene Investitionen zu sein, sondern im Vergleich dazu Peanuts. Im April 1999 berichten Zeitungen: »Der Marmorsaal im Restaurant Rosenkavalier am Salzburger Hauptbahnhof wurde renoviert«. Im Mai ist das Thema lästig: Der Speisesaal, bisher stets als Wahrzeichen des Bahnhofs gehätschelt, wird jetzt von einem Tag auf den anderen zum Kitsch erklärt. »Reden wir über was anderes«, schlägt ein ÖBB-Ingenieur augenzwinkernd vor.

Man plant wieder Bahn

Für Planungen und Genehmigungen ist ein Jahr anberaumt, wer 2004 mit dem Zug durch Salzburg fährt, sollte dessen Hauptbahnhof nach den Plänen des Grazer Universitätsprofessors und Architekten Klaus Kada nicht wiedererkennen. Für die Jury sei der »städtebauliche Aspekt« ausschlaggebend gewesen. Das Siegerprojekt lasse eine »hochwertige Entwicklung zu« und werde »zu einer deutlichen Aufwertung dieses Stadtgebietes beitragen«.

Der Entwurf Kada bürge »nicht für modische, sondern für kulturell dauerhafte Architektur«, sagt Generaldirektor Draxler. Der Zusatznutzen für die Stadt bestehe durch einen Zugang von Schallmoos aus, der jenem am Südtiroler Platz ebenbürtig sein soll. »Zwischen diesen beiden Zugängen breiten wir einen roten Teppich für Salzburg aus«, sagt Draxler über den Bodenbelag in der breiten Passage, die, gesäumt von Geschäften, unter allen Gleisen durchführt. Die Bahn will ihre Dienstleistungen (Information, Fahrscheine, Reisen, Gepäck) auf Inseln anbieten, die in diese Fußgängerebene gestreut sind.

Großer Bahnhof, große Züge

Eine durchgehende Glashülle soll alle Gleise und Bahnsteige überspannen. Züge des Nahverkehrs sollen über kurze Wege zu erreichen sein. Was zu Kaisers Zeiten »Hofbahnsteig« hieß, ist für den Fernverkehr vorgesehen. Wegen der billigen Flüge liegt dieser zwar im argen, für spätestens 2010 sei aber mit den Früchten einer weiteren Investitionsoffensive bei Strecken und Fahrzeugen zu rechnen, wie Draxler ankündigt. Salzburg werde Knotenpunkt europäischer Hauptachsen.

Madrid Atocha, London Waterloo Station, Lille Europe, der Leipziger, der Kölner und der Zürcher Hauptbahnhof sind Vorläufer und wohl auch Vorbilder. Glas und Stahl sind auch bei großflächigem Einsatz keine einander ausschließenden Baumaterialien mehr. Es gelingt, weite Souterrains einzuziehen, in denen schlanke Säulen stehen, in die über Glasdächer Tageslicht gelangt. Reichlich spät haben nun auch die ÖBB realisiert, daß man als Immobilienmagnat und Großgrundbesitzer mitten in den Städten mehr tun kann, als Abstellgleise für Waggons von Gras überwuchern zu lassen.

Abbruchbirne triff Ästhetik

Was soll erhalten bleiben? Das Hauptgebäude am Südtiroler Platz - es steht unter Denkmalschutz. Es stammt zum Teil noch aus 1860, dem Jahr, in dem die »Kaiserin Elisabeth-Bahn« aus Wien und die »Königlich Bayerische Maximilians-Bahn« aus München in Salzburg verknüpft wurden. Die einst als »Kathedrale des Verkehrs« gedachte Bahnhofshalle, beim letzten Umbau mit Bundesbahn-Architektur reichlich verunziert, werde »ausgeräumt« (Draxler).

Der markante Eingriff in die Substanz soll die Hochbauten auf dem breiten Mittelbahnsteig betreffen. Dieser Inselbahnsteig ist, wie die gesamte Konzeption des Bahnhofs, in der »goldenen Ära« der europäischen Eisenbahnen zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg entstanden. Restaurant, Buffet, Bank, Blumenkiosk und Buchhandlung sollen durchgehenden Gleisen weichen. Einzig die stählerne Gitterkonstruktion des Hallendaches gilt als erhaltenswert. Allerdings müßten die markanten Stahlbögen vorerst abgebaut und versetzt werden, wie der ÖBB-Ingenieur - wieder zwinkernd - einräumt. An ihren gegenwärtigen Standorten seien sie den Gleisachsen im Weg.

Bahn frei für den Wettbewerba

Das Architekturbüro Kada hat über das unmittelbare Bahnareal hinaus Vorschläge zur weiteren Gestaltung eingearbeitet, darunter zwei Hochhäuser. Eines könnte am Schallmooser Bahnhofsportal, das andere neben dem Viadukt an der Straßenkreuzung Rainerstraße/Saint-Julien-Straße gebaut werden. (Schaden und Padutsch wiegen zu dieser Idee des Architekten wohlmeinend aber unverbindlich die Köpfe.)

Bürgermeister Schaden begründet das Interesse der Stadt mit dem Entstehen eines neuen Subzentrums. Darüber hinaus könne bei einem geschätzten Gesamtumsatz von 3,3 Milliarden Schilling ein beschäftigungspolitischer Effekt für bis zu 6000 Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft erzielt werden.

Das Salzburger Projekt wurde in dieser Form nach dem Wegfallen der Funktion als Grenzbahnhof mit dem 1. April 1998 möglich (»Schengenland«). Es ist Teil der österreichweit ausgerufenen Bahnhofsoffensive der ÖBB, die mit 3,8 Milliarden dotiert ist. Daß die trägen Bundesbahnen nun, wie Generaldirektor Draxler sagt, »Katalysator für städtebauliche und raumplanerische Vorhaben« werden wollen, hängt mit ihrer neuen Rechtsform und daraus resultierenden Finanzierungsmöglichkeiten zusammen. Für zwei ganz junge Bauten auf dem Salzburger Bahnhofsareal - ein Bürogebäude nahe der Kreuzung Gabelsbergerstraße/Weiserstraße und das Zentralstellwerk - kommt die Besinnung auf Architektur und Ästhetik freilich zu spät.