juni-juli 1999

Didi Neidhart
titel

Das Arbeitslos im Turbokapitalismus

Über eine »Freiheit, die direkt in die Armut führen kann

»Die Zukunft gehört den Schnellen, den Engagierten, den Flexiblen - und denen, die sie gestalten.« (aktuelle Anzeige der 3 Banken Gruppe BKS, Oberbank, BTV)

Flexibilität scheint das Zauberwort im Zeitalter globalisierter, neoliberalistischer Arbeitsmarkt-Verhältnisse und freier, transnationaler Kapitalflüsse zu sein. Ein Begriff, der bis vor kurzem beinahe ausschließlich positiv codiert war (etwa in intellektuellen sowie Kunst- und Kulturkreisen), heutzutage jedoch als immer zwingender werdende Voraussetzung für Jobs auf dem Arbeitsmarkt einen kompletten Bedeutungswandel erfahren hat. Was sich in letzter Zeit wohl am besten an der »Berufsgruppe« der »neuen (Zwangs-) Selbständigen« manifestiert hat.

Angesichts sinkender Sozialausgaben, einer schleichenden Verabschiedung vom Konzept »Wohlfahrtsstaat« zugunsten von »Standortfragen« sowie Privatisierungstendenzen auf allen Ebenen wird Flexibilität jedoch auch außerhalb von reinen Arbeitsverhältnissen zu einer Art sozialdarwinistisch angelegtem Muß bzw. zu einem »Fit For Fun« als Trainingslager zum »Fit For Work«.

Was Adorno und Horkheimer einmal »aussichtslose Abhängigkeit« genannt haben, hat sich nun zu seinem beinahe noch aussichtsloseren Gegenteil verkehrt. Zu einer »Freiheit«, die direkt in die Armut führen kann.

D. h., anstelle einer Abhängigkeit von jenen Strukturen, die Michel Foucault »disziplinierende Einschließungsmilieus« nannte (Familie, Schule, Universität, Militär, Büro, Fabrik, etc.), tritt immer mehr der Zwang zu »einer schrecklichen, permanenten Fortbildung« unter »kontinuierlicher Kontrolle« seitens der Arbeit-/Auftragsgeber-Innen, wie es Gilles Deleuze schon 1990 formulierte. »Kontrollgesellschaften« nennt Deleuze dann auch jene postindustriellen kapitalistischen Wirtschaftssysteme, deren wichtigste Ware »Information« heißt und bei denen vor allem das permanente Aktualisieren des Wissens von Informationen über den gesellschaftlichen und beruflichen Ein- oder Ausschluß entscheidet (in diesem Zusammenhang fungiert etwa ein »Handy« nicht nur als Instrument für Ein-/Ausschlüsse, sondern auch als Kontrollmedium, was sich besonders bei der Debatte um die »Kinderhandys« - »Wo bist du? Wann machst du deine Hausaufgaben?« gezeigt hat). Deleuze: »Was er (der Kapitalismus, Anm.) verkaufen will, sind Dienstleistungen, und was er kaufen will, sind Aktien. Dieser Kapitalismus ist nicht mehr für die Produktion da, sondern für das Produkt, das heißt für Verkauf oder Markt.«

Dadurch brechen nicht nur herkömmliche Vorstellungen von »Arbeit«, Arbeitskampf, Streik in sich zusammen, sondern werden auch Fabriken immer mehr durch Unternehmen und multinationale Konzerne ersetzt. Die Folgen sind bekannt. Die Ökonomie reguliert immer stärker die Politik, die Politik verabschiedet sich immer mehr aus der Öffentlichkeit.

Um den Begriff »Arbeit« ging es auch bei einem Vortrag von Ewald H. Englert (Institut für Psychologie, Salzburg), der letzten Monat im Rahmen eines von der Grünen Bildungswerkstatt organisierten Workshops unter dem Titel »Arbeit & Identität. Heute Boss - Morgen Arbeits!Los«.

Komischerweise ging es auch hier u. a. um die »Familie«, die, neben dem »Beruf« in der »Risikogesellschaft« (Ulrich Beck), als »psychische Stützen des Menschen« wegbricht. Für Englert bedeutet dies, daß der »eigene Lebensplan« (auch der zwischen-menschliche) immer wieder modifiziert werden müsse und »die Familie als Agentur, die die nachwachsende Generation mit einer stabilen Identität versorgt, zurücktritt.«

Das Problem dabei ist nur, daß es sich hierbei eher um Symptome des »Turbokapitalismus«, aber nicht um seine ökonomischen Ursachen handelt und ähnliche Aussagen auch immer wieder von konservativen Kreisen, nicht nur der »Neuen Mitte«, getätigt werden. Denn in letzter Konsequenz zu Ende gedacht würde dies bedeuten, daß die herrschenden ökonomischen Zwangs- und Unterdrückungsverhältnisse durch eine Rückbesinnung auf das klassische Modell »Familie« überwunden werden könnten. Völlig übersehen wird dabei, daß es sich bei dieser »Familie« ebenfalls um ein Zwangs- und Unterdrückungsregime handelt.

Auch bleibt die Frage offen, ob ein Rekurs auf die Sicherheiten der »bürgerlichen Epoche« (»feste Familienstruktur, klare Rollendefinitionen, die das ganze Leben lang galten«) - wenn von Englert auch nur als Gegenbeispiel gebracht, das jedoch immer noch »Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen« bestimmt - nicht auch zu enormen Mißverständnissen führen kann (etwa jenem, daß Vollbeschäftigung gleichbedeutend mit sozialer Gerechtigkeit sei).

Gerade die sogenannten »ModernisierungsverliererInnen« und die sie vertretende(n) Partei(en) machen immer wieder antiautoritäre und emanzipatorische Bewegungen (Feminismus) sowie »die Ausländer«, d. h., vor allem unklare »Rollendefinitionen« (und nicht die Gesetzmäßigkeiten einer kapitalistischen Ökonomie), als Grund allen Übels aus, oder fordern eine »Zivilgesellschaft«, die auf privater Basis all das übernehmen soll, was bisher Sozialämter und SozialarbeiterInnen geleistet haben. Wohlfahrt wird so zur Privatsache erklärt, die hauptsächlich von individuell veranschlagten Faktoren wie »Good Will« sowie zeitlichen wie finanziellen Ressourcen abhängt, jedoch nicht mehr als Gesetz verankert und somit einklagbar ist.