juni-juli 1999

Romana Klär
titel

Neues Amt für rasche Hilfe

Bedarfsorientierte Mindestsicherung soll Armutsfalle entschärfen

Prekäre Arbeitsverhältnisse verschaffen einer zunehmend größer werdenden heterogenen Gruppe von ArbeitnehmerInnen ein derart geringes Einkommen, daß sich ihre »Lebenserhaltungskosten« kaum damit decken lassen. Uni-AbsolventInnen sind davon genauso betroffen wie alleinerziehende Mütter und schwervermittelbare ältere ArbeitnehmerInnen. Damit einhergehend mangelt es bei den sogenannten Mac-Jobs – also Arbeit auf Abruf, freie Dienstverträge u. ä. – an einer finanziellen Absicherung im Falle von Krankheit, Schwangerschaft oder Arbeitslosigkeit. Sind ArbeitnehmerInnen beispielsweise nicht ausreichend qualifiziert, so ist auch ein Vollzeit-Arbeitsplatz schon längst keine Garantie mehr für die Sicherung des Lebensunterhalts etwa bei Familien mit drei oder mehr Kindern.

Grüne und Liberale haben diese gar nicht mehr so neue »Armutsfalle« erkannt und machen daher seit einiger Zeit auf je unterschiedliche Weise auf die Notwendigkeit einer »finanziellen Grundsicherung« aufmerksam. Auch die ÖVP ist jüngst mit dem Slogan »Karenzgeld für alle« in diese Debatte eingestiegen und rüttelt mit ihrem Vorschlag gleichsam an jenen Grundfesten der Sozialdemokraten, die das Versicherungsprinzip für unantastbar definieren. Für die SPÖ, die sich nach wie vor als ArbeiterInnen-Partei versteht, bleibt eine »feste Anstellung« für finanzielle Leistungen während der Karenz unabänderliche Voraussetzung.

Unabhängig von parteipolitischen Scharmützeln und wahlkämpferischen Statements, rückten die TeilnehmerInnen des Aktionstages der österreichischen Armutskonferenz Anfang Mai im Bildungshaus St. Virgil das Thema »bedarfsorientierte Grundsicherung bzw. Mindestsicherung« in den Mittelpunkt.

Denn »Armut ist kein selbstverschuldetes Schicksal, keine unvermeidbare Summe von Einzelfällen, sondern wirtschaftlich und gesellschaftlich verursacht und daher politisch vermeidbar«, heißt es von seiten des österreichischen Netzwerks gegen Armut und soziale Ausgrenzung, das als Nicht-Regierungsorganisation die offene Spaltung der Gesellschaft in eine schrumpfende Arbeits- und wachsende Armutsbevölkerung aufhalten will. Wesentliches Ziel ist es dabei, Vorschläge für zukunftsorientierte, strukturelle Reformen der Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik auszuarbeiten, also die Grundlage zu schaffen, sie in Gang zu setzen und dadurch die soziale Grundsicherung der Bevölkerung insgesamt zu verbessern.

Mögliche Antworten auf die Frage, »wie Armut und soziale Ausgrenzung verhindert werden könnten« – so auch der Titel der Publikation zur Armutskonferenz, die demnächst veröffentlicht wird – suchen derzeit auch die MitarbeiterInnen einer unabhängigen ExpertenInnengruppe im Sozialministerium. In wenigen Wochen soll ihr rund 100 Seiten umfassender Bericht zur öffentlichen Diskussion freigegeben werden.

Nikolaus Dimmel, Experte für Sozialrecht an der UNI Salzburg und ehemaliger Leiter des Salzburger Sozialamtes, hat an diesen Reformvorschlägen mitgearbeitet.

Auch wenn landauf, landab die gängige Meinung vorherrscht, es bräuchte sich in Österreich niemand vor Armut zu fürchten, gibt es doch scheinbar ein »engmaschiges soziales Netz«, das Menschen, die vorübergehend in Not geraten, auffängt, so ist Dimmel davon überzeugt, daß selbst ein gut ausgebautes Sozialsystem oder verbesserte Zugänge zum Arbeitsmarkt auf Dauer nicht zur Existenzsicherung der Betroffenen ausreichen werden. Es sei eine Tatsache, daß immer mehr Menschen nur unzureichend über materielle Mittel verfügen und sich nicht allein aus einer Notlage befreien können, sagt Dimmel. Darüber hinaus wurde das bestehende Sozialversicherungssystem dem Strukturwandel der vergangenen Jahre nicht angemessen angepaßt.

»Man hätte das schon spätestens Anfang der 90er Jahre erkennen müssen«, untermauert Dimmel die Dringlichkeit einer breiten Diskussion von Mindestsicherungsmodellen.

Arbeitslosenunterstüzung oder Notstandshilfe etwa liegen meist unterhalb des durchschnittlichen Sozialhilferichtsatzes. Während die Zahl der potentiell anspruchsberechtigten Personen steigt, wird in Österreich die Zahl der BezieherInnen von Sozialhilfe jedoch immer geringer.

Dafür ausschlaggebend seien einerseits restriktive rechtliche Bestimmungen sowie andererseits das schlechte Image der Sozialhilfe. Insbesondere am Land, wo es teilweise einen engen persönlichen Bezug zwischen Amt und AntragstellerInnen gibt, fühlen sich Bezugsberechtigte häufig stigmatisiert. Darüber hinaus sei die Sozialhilfe gar nicht das geeignete Instrument, um immer wiederkehrende Risiken aufzufangen, so der Sozialrechtler.

Eine bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) wäre ähnlich der jetzigen Sozialhilfe konzipiert, würde sich aber auch davon in einigen wesentlichen Punkten unterscheiden, erläutert Dimmel, indem es nach bundeseinheitlichen Gesichtspunkten funktioniert und bisher auf unterschiedlicher Rechtslage existierende Sozialleistungen mit Einkommensprüfungen miterfaßt. So wären bei der BMS je nach Haushaltsgröße einheitliche Richtsätze und Verfahrensabläufe möglich, womit man bundesweit gültige Standards setzen könnte, da in regionaler Hinsicht die Lebenserhaltungskosten für den Grundbedarf annähernd gleich hoch sind. Eine Ausnahme bilden allerdings die Wohnkosten. Besser wäre daher eine Art Subjektförderungssystem, »Wohngeld«, das auf regionale Besonderheiten Rücksicht nimmt.

Wichtig sei auch, das bislang grobe Mißverhältnis bei Entscheidungs- und Berufungsfristen, die für die betroffenen Klienten entweder zu lange dauern oder zu kurzfristig fallen müssen, zu entschärfen.

Ziel einer bundeseinheitlichen bedarfsorientierten Mindestsicherung ist es, die derzeitigen existenzsichernden Leistungen des Bundes, der Sozial- und Behindertenhilfe der Länder und die Subjektförderungen im Wohnbereich zu ersetzen und institutionell neu zu verankern.

Dimmel spricht in diesem Zusammenhang von einem »one-desk-management«. Alle Anträge würden von einem Schreibtisch aus von professionell-sozialarbeiterisch geschultem Personal erledigt. KlientInnen bräuchten nicht – wie bisher üblich – zu mehreren Ämtern geschickt werden, wenn sie etwa auf Wohngeld, Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe angewiesen sind. Ein/e fixe/r Ansprechspartner/in dieser »eigenständigen Behörde« würde im Interesse derjenigen, die rasch und unbürokratisch Hilfe brauchen, dem »Hin- und Herschicken« ein Ende setzen sowie eine höhere Transparenz, Rechtssicherheit und KundInnenfreundlichkeit ermöglichen und damit auch Entstigmatisierung nach sich ziehen.

Enge Zusammenarbeit mit externen Betreuungs- und Beratungseinrichtungen wie Kindergärten, Wohnraumbeschaffungseinrichtungen, Schuldnerberatungen, Familienberatungsstellen, sozialökonomischen Betrieben und Beschäftigungsprojekten sowie anderen Einrichtungen für Menschen mit besonderen Betreuungsbedürfnissen, ist dabei eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen nachhaltiger Hilfe.

Kennt man die Hartnäckigkeit, mit der Reformvorschläge in Österreich diskutiert bzw. abgewiegelt werden und wieviele Kompromisse erst ausgehandelt werden müssen, bis es zur tatsächlichen Umsetzung kommt, kann man davon ausgehen, daß die Debatte um Mindeststandards einer »Grundsicherung« noch einige Zeit anhalten wird.