dezember 1999

Gudrun Seidenauer
gelesen

MELANIE McGRATH: Instant Karma

Eine spirituelle Odyssee durch die amerikanische Wüste. / Rowohlt 1999. 333 S

Wer sich auf Auto-Trip durch den amerikanischen Südwesten begibt, wird auf trancefördernden Endlosstrecken durch berauschende Himmel - und Erde-Ansichten nicht selten von einem unheimlichen Gefühl beschlichen, das nun gar nichts mit der vielzitierten Magie der Welt aus Sand und Stein zu tun hat: Es ist das Gefühl, schon alles zu kennen. (Auch der freundliche Mann im Motel-Office gleicht verdächtig Falcon Crest. Oder Scotty?) Und man hat damit recht: Wohl keine Region der Welt ist so sehr von Klischees beladen, und nirgendwo scheint man so hemmungslos bemüht, dem Reisenden in Echt-Zeit die Identität von Bild und Abgebildeten zu suggerieren. Pech jedoch für den amerikanischen sun-belt, dass die Perfektion der Bilder von der Wirklichkeit nicht mehr eingeholt werden kann. Wobei die Tourismus-Industrien von Arizona, Utah, New Mexico den Vorteil haben, dass vergleichsweise wenige Einwohner die hierher projezierten Träume von authentischer Wildnis stören: Auf den 830 117 Quadratkilometern der jungen US-Bundesstaaten leben insgesamt nur knapp sieben Millionen Menschen. Die Journalistin Melanie McGrath hat - stilecht im klapprigen Gebrauchtwagen - die von Militär, Flugzeugindustrie und der weltweit höchsten Konzentration von New Age -AnhängerInnen geprägte Zone bereist. Was ihr nüchterner, aber nicht anteilnahmsloser Blick dabei erfasst hat, ist aus dem Buch »Instant Karma« mit dem etwas irreführenden Untertitel: Eine spirituelle Odyssee durch die amerikanische Wüste zu erfahren. Ist es ein literarhistorisches Klischee, dass Briten die beste Reiseliteratur produzieren? McGrath bestätigt die zumindest seit Lawrence Sternes Sentimental Journey zurecht bestehende Einschätzung mit ihrer ganz unsentimentalen Schreibe. McGrath macht sich über Trommler, MedizinradmeisterInnen und vermeintlicher Wahrer indianischen Wissens keineswegs lustig: Sie sieht nur genau hin, versucht Bedingung und Wirkung (auch der eigenen) geistigen Obdachlosigkeit einerseits und der seit einem Vierteljahrhundert expandierenden Bewusstseinsindustrie andererseits zusammenzudenken. Ihre auch unterhaltsamen Überlegungen entstehen aus auf der Reise Erlebtem und Vorgefundenem. Ausgangszenarien sind u. a.: Der Western-Mythos von Billy The Kid. Ein Wüstengespräch mit Marvin Wilkening, einem Mitarbeiter des Manhattan-Projekts (im Zuge dessen 1945 die erste Atombombe gezündet wurde). Ein »indianisches« Medizinrad-Ritual in Sedona, dem Mekka des Wassermannzeitalters. Die City of the sun, Phoenix, eine der am schnellsten wachsenden Städte der USA, eine Art Hölle aus Shopping-Malls, Swimmingpools und Palmen, die sich immer weiter in die Wüste hineinfrisst.

Zu New Age und seinen oft genug zwischen Geschäftstüchtigkeit und tiefer Lebensunsicherheit schwankenden Anhängern findet McGraths deutliche Worte: Die Wüste war für sie ein schmerzfreier Ort, eine Leere. Ein Anfangspunkt, von dem aus sie alles zurückgewinnen konnten, was sie verloren hatten.(...) Und sie waren zum Scheitern verurteilt, denn sie verstanden nicht, dass Transzendenz keiner Überprüfung standhält. (...) Sie waren nur deshalb darauf bedacht, im Hier und Jetzt zu leben, weil sie die Zukunft fürchteten - und oft auch die Vergangenheit. Die New-Age-Glaubenssätze liefen ihrer eigenen Erfahrung so radikal zuwider, dass sie sie alle umdeuten mussten. So wurde Tod zu Reinkarnation und jeder Verlust zu einer Verschwörung der Weltregierung. Doch sie wurden nicht nur ausgebeutet, sie beuteten sich aus selbst aus: Der permanente Selbstbetrug, den sie von sich verlangten, kam hinter der New-Age Maske des positiven Denkens als eine Art Nervosität zum Vorschein. Die Wüste war nur eine Art Metapher für ihre eigenen lustlosen Selbstzerstörungsträume.