dezember 1999

Harald Friedl
gelesen

KURT PALM »Suppe Taube Spargel sehr sehr gut.«

Essen und trinken mit Albert Stifter. Ein literarisches Kochbuch./Löcker Verlag, 1999

Aus einem Muster von Schein und Wirklichkeit ist dieses Buch über Stifter gewoben. Der Schein liegt in den Worten und Verhaltensweisen der literarischen Figuren Stifters, die ihm als Projektionsflächen eines nie gelebten, jedoch offenbar ersehnten Spartanismus dienten. Butterbrote landen auf den Tellern in der Literatur. Alles, was die Küche zu bieten auf denen zu Hause - und das sechs Mal am Tag! Verlegenheit und Scham über seine Unmäßigkeit kleidet er in sich selbst anklagende Briefe: Sein Hunger sei so entsetzlich, dass er »sechsmal mehr möchte als die sechsmal.« Und dazu soff er. Seinen Jahresbedarf an Wein gab er mit 600 Litern an - zusätzlich zum regelmäßigen Bierkonsum.

Stifter hat sich selbst einmal als Vulkan bezeichnet, von dem er nicht wisse, wann er einmal ausbrennen werden. Und so füttert Stifter diesen Vulkan, als trachte er, durch die Unmengen an Nahrung, die er seinem Schlund zuführt, diesen entweder mit einem Pfropfen abzudicht, oder den Höllenhund in seinem Inneren durch Leckerbissen zu besänftigen.

Palm konstruiert die Auseinandersetzung mit Stifter ge-schickt, sodass sich das widersprüchliche Wesen des Dichters erst im Verlauf des Buches voll erschließt. Gerne nutzt der Autor die Gelegenheiten zu alltagskulturellen Exkursen (Taube und Haselhuhn als Nahrungsmittel, Bedeutung des Backhendls im 19. Jahrhundert). Ein Beispiel: Stifter, der in Linz lebt, lässt sich von einem Freund ab 1858 Frankfurter Würstchen aus Wien schicken. Dies nicht deshalb, weil der begnadete Fresser »die edlen Würstel« eines bestimmten Wiener Fleischhauers für so außergewöhnlich erachtet, sondern weil sie in Linz, obwohl bereits 1805 in Wien erfunden, erst ab 1865 hergestellt wurden. Überhaupt schien es sich Mitte des 19. Jahrhunderts bei den »edlen Würstel« um eine Kultspeise erster Ordnung zu handeln. Grillparzer, Schubert, Lanner, Nestroy, Strauß liebten sie! Wen hat dagegen etwa das McDonalds-Leibchen heutzutage für sein Image aufzubieten? Gottschalk!

Neben den biografischen und kulturhistorischen Aspekten ist Palms Arbeit auch als Kochbuch interessant. Immer wenn ein neues Gericht zur Sprache kommt, setzt der Autor gleich mit der Anleitung nach, um selbiges nachkochen zu können. Prost, Mahlzeit!