dezember 1999

Didi Neidhart

Sex in der Stadt

Erotische Wienerlieder

Neben den Wien-Klischees vom früheren Leben als Reblaus, welches die Abhängigkeit von Alkoholika im jetzigen erklärt und einer grundsätzlichen morbid-grantigen Einstellung gegenüber dem Sein im allgemeinen, war ein Aspekt des menschlichen Lebens bis jetzt noch nicht so wirklich mit dem Wienerlied verbunden. Genau! Es geht um jene Dinge, die im Kabel-TV neuerdings unter dem Begriff »biologische Kontakte« fungieren und denen sich die CD »Zoten & Pikanterien« mit Schellackaufnahmen aus dem Wien der Jahre 1906 bis 1932 widmet. Nun arbeitete zu dieser Zeit nicht nur Papa Freud dort, sondern hatte die Donaumetropole auch den Ruf der »mitteleuropäischen Hauptstadt der käuflichen Liebe«. Jedoch, so Herausgeber Ernst Weber vom Wiener Volksliedwerk gegenüber dem kunstfehler, handle es sich hierbei nicht um Schrott der Marke »Ein Abend auf der Heidi«. Auch stelle die Thematik eigentlich nur eine Art Sub-Genre dar.

»Die eigentlichen Wienerliedsänger dieser Zeit hatten Lieder mit erotischen Inhalten nicht in ihrem Fixprogramm. Solche Nummern wurden meist auf Wunsch zu später, vorgerückter Stunde gesungen.«

Was auch erklären mag, dass die meisten »scharfen« Lieder eher von »Außenseitern der Volksmusik«, von meist aus der »höhere Bildungsschichten« stammenden BühnenkünstlerInnen und Literaten gesungen und verfasst wurden. »Ein Großteil der »Volkslieder« sind Kunstprodukte, die von bekannten Literaten anonym veröffentlicht wurden. Besonders bei Erotik und Sexualität stammt das wenigste direkt aus dem Volk.« Zudem gebe es gerade bei den »Zoten & Pikanterien« eine Art Stadt/Land-Gefälle.

»Diese Lieder waren ein Spezifikum des Stadtrands, wo sich ländliche und vorstädtische Milieus vermischten. Sexualität wurde am Land ohne viel Umschweife derber, direkter aber auch naiver besungen. Das sind die eigentlichen »Zoten« auf der CD. Die »Pikanterien« kommen hingegen aus einem bürgerlichen Milieu und richten sich auch an ein solches. Inklusive der damit verbundenen Doppelmoral und voyeuristischen Haltung. Das zeigt sich auch an einer Sprache, die sich nicht mit jener des besungenen Milieus deckt und viel mit Metaphern arbeitet. Ins Varieté ging man wegen einer gespielt gekünstelten Erotik. Das war der Anreiz. Zudem musste man sich nicht wirklich in die Vorstadt begeben.«

Angesichts des Themas und der Zeit der Aufnahmen verwundert es nicht, dass die meisten Interpreten Männer sind und die behandelten Themen (Promiskuität, Verführung, Selbstbefriedigung, Impotenz. Geschlechtskrankheiten) aus männlichen Blickwinkeln beschrieben werden. Wobei die vertretenen Frauen nicht zufälligerweise aus dem Varieté kommen.

»Frauen«, so Weber, »konnten Lieder mit Anzüglichkeiten und erotische Andeutungen öffentlich nur innerhalb des Varietés singen. Aber dort waren sie sogar gewagter als ihre männlichen Kollegen. »Pikanterien« aus dem Mund einer Frau übten auf das bürgerliche Publikum einen ungeheuren Reiz aus. Das »Telefonlied« von Hansi Führer wurde sogar ein Riesenhit«.

Dessen, um 1906 geschriebener Text lässt nun aber auch wirklich keine »Wünsche« offen und müsste eigentlich Klaus Theweleit zugeschickt werden. Aber lesen Sie selber:

»Sie kennen mich, Sie wissen schon, ich bin das Fräulein vom Telefon/Mit meinem kleinen Apparat bediene ich die ganze Stadt/Drum fasst mich an hallo hallo, verlangt von mir eine Numero!/So geb ich sie gleich mit Plaisir, die Nummer, die erwünscht von mir.«

Die CD »Wien - Zoten & Pikanterien« ist zusammen mit dem ebenfalls schwer empfehlenswerten Samplern »München/Bayern - Szenen & Vorträge«, »München/Bayern - Lieder & Couplets«, »Berlin - Großstadtklänge« sowie »Sachsen - Volkssänger« im Rahmen der Reihe »Rare Schellacks« bei Trikont/Hoanzl erschienen.