dezember 1999

Doc Holliday

Scheiß auf diese Wende

Das etwas andere Endzeit-Special

Der allseits wie die Grippe grassierende Millenniums-Wahnsinn spült eine Menge geistigen Bodensatz aus den Gehirnen, sagen wir besser Köpfen, jeder trüben Tasse, die glaubt, sich ungefragt zu den brennenden Fragen der Zeit äußern zu müssen. Neben dem allgemeinen Gezeter über den nahenden Weltuntergang fördert der kommende Jahreswechsel auch einige spannende Überlegungen zum Thema Verschwörungstheorien ans Tageslicht. Darunter erstmals Versuche, die verzwickten Theorien, besser spricht man wohl von Hypothesen oder Spekulationen, in umfassenden Gesamtübersichten vorzustellen. Enzyklopädien der Wahnsysteme, von denen hier zwei als Lektüre für jeden aufrechten Paranoiker erwähnt werden sollen. Unbedingt empfehlenswert: »Wer steckt dahinter?« Dieser zentralen Frage gehen die beiden deutschen Publizisten Jürgen Roth und Kay Sokolowsky nach. Analog zum jeweils abgehandelten Fall - es gibt eben reale Verschwörungen, Mutmaßungen, und darüber hinaus jene Fälle, die eigentlich der klinischen Behandlung durch Psychiater bedürften - mischen die Verfasser ihre Textsorten: parodistisch-satirische und polemische stehen neben darstellenden und essayistischen. Ein besonderes Lob gebührt der Schilderung der mannigfaltigen Machenschaften der CIA. Eine Hitparade der unglaublichsten Geheimoperationen, die die Elite der Weltpolizei rund um den Erdball ausführte. Darunter die vielen Versuche den Erzfeind aus Kuba unschädlich zu machen (»Bringt mir den Bart von Fidel!«) Als Schwachpunkt wurde umgehend Castros Faible für Zigarren ausgemacht. Also schickten die Geheimkrieger immer wieder Schachteln mit präparierten Rauchwaren. Etwa in Gift getränkte, die Desorientierung hervorrufen und den legendären Redner der Lächerlichkeit preisgeben sollten. Bei einer Auslandsvisite des Maximo lider wollte man ihm Thalliumpuder, ein sehr starkes Enthaarungsmittel, in die zum Zweck der Reinigung vor die zimmertür gestellten Stiefel kippen. Fidel ohne Bart, das hätte die Roten bestimmt zu einem winselnden Häufchen Elend mutieren lassen. Castro sagte die Reise allerdings ab und entging so dem Anschlag knapp. Das andere, nur bedingt empfehlenswerte Werk stammt vom Amerikaner Daniel Pipes. Der ortet die Komplotttheorien in totalitären Systemen. Im gesellschaftstheoretischen Kurzschluss der Gleichsetzung von Faschismus und Sowjetkommunismus werden bloß die ideologischen Vorurteile, wenn man so will ungewollt ein anderes Konspirationsmärchen, sichtbar. Über den CIA und die McCarthy-Hexenjagden verliert der Autor nur wenige Zeilen. Überzeugender lesen sich da schon die Ausführungen zu den Nazis. Diese witterten überall Verschwörer, weil sie sich die Welt anders als von geheimen Mächten regiert gar nicht vorstellen konnten. Solcherart Verfolgungswahn spielte eine erhebliche Rolle beim Rechtfertigen ihrer kriminellen Taten. Man denke an die Dolchstoßlegende oder den Überfall auf den Sender Gleiwitz, den die Nazis bekanntlich selbst inszenierten und mit dem der Weltkrieg begann. Und Österreich? Da ist es insbesondere die FPÖ, die unter Verfolgungswahn leidet. Die Rolle des ewigen Opfers und Verfolgten ist ein gängiges Denkmuster. Wobei einzelne Protagonisten besonders anfällig scheinen. Ex-Klubobmann Ewald Stadler wurde sogar vom Parteikollegen Thomas Prinzhorn einst bestätigt ,ein Verschwörungstheoretiker zu sein. Und der muss es ja wissen. Sein Sager über die Hormonbehandlung ausländischer Frauen zwecks Fruchtbarkeitssteigerung ist auch ziemlich tief gelandet - auf der nach unten offenen Paranoiaskala.

JÜRGEN ROTH/KAY SOKOLOWSKY: »Wer steckt dahinter? Die 99 wichtigsten Verschwörungstheorien«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1998

DANIEL PIPES: »Verschwörung. Faszination und Macht des Geheimen«. Gerling Akademie Verlag, München 1998