dezember 1999

Thomas Neuhold
leitartikel

Rückzugsgefechte und Absetzbewegungen

In der November-Ausgabe des »kunstfehlers« wurde die Frage gestellt, welche/r KünstlerIn, welche/r Intellektuelle mit der Sozialdemokratie noch das berühmte Stück des Weges gemeinsam zu gehen bereit sei? »Und wenn, welchen Weg?« Nur wenige Tage danach gab die Bundes-SPÖ mit der kampflosen Übergabe des parlamentarischen Kulturausschusses an die Freiheitlichen selbst die Antwort: Die Bundesspitzen der SozialdemokratInnen wollen gar nicht, dass die Kulturschaffenden mit ihnen gehen!

Genauso wie Andreas Rudas mit seinem Vorstoß die Läden rund um die Uhr offenzuhalten auf die Handelsangestellten pfeift, überlassen Klima, Rudas, Kostelka und Co. die parlamentarische Kulturpolitik lieber den Freiheitlichen. Da kann sich die regionale SPÖ kulturpolitisch bemühen, wie sie will: Es hilft nichts, unweigerlich drängt sich Robert Menasses - von ihm immer in Abrede gestellte - Sager auf, nach dem der Unterschied zwischen SPÖ und FPÖ, wie jener zwischen Pest und Cholera sei.

Die Sozialdemokratie hat die Kultur, hat den Kampf um die Köpfe der Intellektuellen aufgegeben. Sie ist nicht bereit, um ihre ursprünglichen gesellschaftspolitischen Ideen zu kämpfen. Sie opfert lieber die vermeintlich unwichtige Kultur auf dem Altar der Machterhaltung und versucht »wichtigere« Positionen zu retten. Übrig bleibt »der Scherbenhaufen einer großartigen Idee«, wie es ein SPÖ-Dissident aus der Steiermark einmal formuliert hatte.

Widerstand und Immigration

»Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!« Dieser Kampfruf der anarchischen Linken war bei der Großdemonstration gegen die rassistische Politik des Staates und der drei größeren Parteien in Wien am 12. November eine der am öftesten gerufenen Parolen. Die Anarcho-Parole ist aber längst nicht nur mehr Bestandteil des Vokabulars eines Häufchens Autonomer. Diesmal war er auch schon von religiös motivierten Gruppen und bürgerlich liberal gesinnten Menschen zu hören. Leiser, aber mit tiefem Groll.

Prominente SPÖ-Vertreter - wie beispielsweise die Wiener Finanzstadträtin Gitti Ederer - nahmen es mit arroganter Gelassenheit und demonstrierten eifrig mit; Ederer erklomm sogar das Rednerpult vor dem Parlament. Gemeinsam mit über 50.000 Menschen gegen die eigene Politik! Was für eine Chuzpe. Was muss in diesen Köpfen vorgehen.

Für das Anliegen der Demonstration vom 12. November war die Teilnahme von SozialdemokratInnen an vorderster Front sicher nicht zuträglich. Denn die SPÖ-Funktionäre versuchten alles, um von der eigenen Verantwortung für die politische Schieflage der Republik abzulenken. Verwässern und verschleiern hieß das Gebot der Stunde. Jene Eier, die nach Ederer geworfen wurden, ersetzen keine Argumente; sie wären in jeder Pfanne besser aufgehoben gewesen. Der Zorn der DemonstrantInnen, die sich selbst noch im Rückzugsgefecht der DemokratInnen mit frech vorgetragener SP-Politik konfrontiert sahen, ist aber nachvollziehbar.

Der Frust über den politisch, sozialen und intellektuellen Zustand unserer Heimat sitzt bei vielen Menschen tief. Allmächlich wird ihnen die ganze Tragweite der politischen Entwicklung zwischen Alter Donau, Boden-, Wörther- und Neusiedlersee deutlich. Während viele versprengte DemokratInnen aus linksradikalen, linken, kirchlichen oder intellektuellen Gruppen und Kreisen noch verzweifelt versuchen, Widerstand zu organisieren, ist der Großteil längst auf dem Weg in die innere Immigration.

Ja, noch schlimmer. Immer öfter erreichen uns Berichte von Menschen, die diesem Österreich den Rücken kehren oder Vorbereitungen für diesen Schritt treffen. Da gibt es den renommierten Wiener Dokumentarfilmer, der seiner spanischen Frau die alltäglichen Beschimpfungen in der U-Bahn ersparen will, und seinen Wohnsitz nach Madrid verlegt. Da ist der prominente Salzburger Wirtschaftsmanager, der plant die österreichische Staatsbürgerschaft gegen die der Niederlande einzutauschen.

Noch gehen nicht allzu viele, es könnten aber sehr bald mehr werden. Flexiblen Menschen bietet der freie Personenverkehr in der EU Ausweichmöglichkeiten. Sensiblere Geister müssen einfach nicht länger in einem als reaktionär und antiaufklärerisch empfundenen Klima leben. Man/frau mag die hinter der inneren Immigration, die hinter der vereinzelt beginnenden Absetzbewegung liegende Geis-teshaltung als wenig politisch, als zu wenig kämpferisch bezeichnen. Vielleicht ist sie das auch. Verständlich ist sie allemal.