dezember 1999

Tanja Paar
titel

»Eine emanzipatorische und soziale Demo«

Nach dem 12. November - eine erste Zwischenbilanz der »Demokratischen Offensive«

Nach dem »Warnblinken« vom 12. November ziehen die InitiatorInnen der Demo eine erste Bilanz. Ein Lokalaugenschein am Wohnzimmertisch, wo alles begann, und im Republikanischen Club, wo beraten wird, wie es mit der »Demokratischen Offensive« weitergehen soll.

»Ich bin sehr müde«, schickt die Philosophin und Mitinitiatorin der Demonstration Isolde Charim dem Gespräch voraus. Wie sitzen an ihrem Wohnzimmertisch, wo wenige Tage nach der Nationalratswahl im Oktober alles begann: »Am Anfang war die Angst, dass wir eine ganz kleine Gruppe sind.« Deswegen habe man als Ort für die Demonstration den Stephansplatz gewählt. »Wir haben gedacht: das ist ja lächerlich, wenn da 3000 Leute kommen und wir machen das am Heldenplatz.« Hinzugekommen sei die symbolische Überlegung: »Haider hat an diesem Ort seine Abschlusskundgebung vor der Wahl abgehalten. Wir werden mehr sein.« Diese Überlegung hat sich schnell bestätigt: »Die Leute sind uns förmlich um den Hals gefallen. Es war, als hätten alle nur darauf gewartet, dass endlich etwas passiert.« Dementsprechend fällt ihre Bilanz nach dem 12. November vorsichtig positiv aus: »Für das, was eine einzelne Demo leisten kann, ist das sehr viel gewesen. Eine Demo ist ein gutes Mittel, sich zu formieren. Sich und den anderen zu zeigen, wie stark man ist.« Wichtig ist ihr außerdem, dass »endlich der Gegner benannt wurde“. Sie sagt: »In Österreich gibt es so etwas wie ein Benennungstabu. In der Zeit im Bild 2 nach der Demo wurde gesagt: Es wären noch viel mehr Menschen gekommen, wenn nicht der Name Haider ausgesprochen worden wäre. In keinem anderen Land gibt es eine solche Angst vor der Benennung des Gegners.«

Allerdings dürfe sich die »Demo«, nicht in dem Event vom 12. November erschöpfen: »Was in diesem Land fehlt, sind gesellschaftliche Regulationsmechanismen. Die Ächtung von Rassismus. Vielleicht können wir helfen, so etwas herzustellen.« Überrascht war sie von »unerwarteten Gegnern“. »Einer Generation von jungen Journalisten, die uns als »Gutmenschen« bezeichnen«, so Charim. Sie kritisiert die Inkonsistenz des Arguments: »Einerseits sind wir Gutmenschen, andererseits polarisieren wir. Die FPÖ betreibt eine Politik, die polarisierend ist. Das ist unsere Antwort.“ »Vor drei Monaten«, fügt sie hinzu, »hätte ich noch nicht so gesprochen. Jetzt haben wir eine polarisierte Situation.« Wie es weitergeht? Man bereite ein Buch vor, dazu komme eine »Unzahl von dezentralen Aktivitäten«. Ziel sei es weiterhin, »ein Klima zu machen, das Druck auf die Parteien ausübt«. Viel hänge davon ab, zu welcher Regierungskonstellation es kommt. »Ich habe schon die Hoffnung, dass die politischen Profis die Staffel übernehmen.« Im Falle Schwarz-Blau müsse man allerdings anders auftreten und wieder »vehement nach außen auftreten.« Müdigkeit hin oder her: Im Republikanischen Club wartet noch ein langer Abend zur Frage »Demokratische Offensive. Was nun?« Die ausländische Presse habe die Demo mit außergewöhnlichen Worten gelobt, so der Journalist Robert Misik. Von der »Geburt der österreichischen Zivilgesellschaft« sei in der Süddeutschen Zeitung die Rede gewesen. »Wir dürfen nicht den Fehler machen, schon fünf Tage nach dem Event in eine Veteranenmentalität zu verfallen. Dazu haben wir Gelegenheit, wenn wir verloren haben - falls wir verlieren sollten.« Man habe etwas geschafft, was wenige erwartet hätten: »70.000 bis 80.000 Menschen zu versammeln.« Zusatz: »Hätten wir eine bessere Tonanlage gehabt, hätten auch alle etwas verstanden.« 200.000 Schilling hätte es gekostet, den gesamten Platz zu beschallen.

Ob der 12. November »ein Strohfeuer« war, oder eine »Bewegung, die sich verbreitern kann«, müsse die Realität entscheiden. Zumindest sei die Demonstration keine »Masse der Gutmenschlichkeit, sondern im positiven Sinn von Aggression bestimmt gewesen«. »Vielen jungen Leuten, die noch keine Erfahrung mit politischem Engagement hatten, konnte das Gefühl gegeben werden, dass ihr Einsatz etwas verändert.« Man könne nicht einen Monat später »schon wieder etwas machen, wo man sich en masse zählen lässt«. Wenn nicht »die politische Lage alle unsere Pläne umstößt«. »Wenn wir wieder eine Demo machen, wird das eine machtvolle Geschichte«, ist der Schriftsteller Doron Rabinovici überzeugt. Das Lichtermeer sei ein »Staatsakt« gewesen. Dass das diesmal nicht so war, hätten die Pfiffe und Eierwürfe gegen Politiker bewiesen. Für ihn sei es ein »emanzipatorische und soziale Demo für innenpolitische Themen gewesen«. »Wir haben bewiesen, dass man mit Politik Erfolg haben kann. Das wird uns von mancher Seite übelgenommen.« Max Koch von SOS-Mitmensch freut sich »über die vielen Menschen bei der Demo, die man nicht schon aus diversen Organisationen kennt«. Er ist zufrieden mit der Demonstration, warnt aber vor »den vielen runden Tischen, die jetzt plötzlich alle machen. Wir müssen aufpassen, dass die uns nicht ausbremsen.«

Willi Stelzhammer, ebenfalls von SOS-Mitmensch, wirft ein, dass von ausländischen Gästen zwar ein »Erwachen der Zivilgesellschaft, aber auch ein gesellschaftliches Defizit in Österreich« konstatiert wurde. »Wir haben nach einer Situation der Resignation zumindest Hoffnung. Ich hoffe, dass wir mit diesem Schwung in der Lage sind, Zeichen zu setzten, die nicht mehr übersehen werden können.« Wichtig sei es nun, »diese bunte Vielfalt aus Organisationen auf einige Punkte zu konzentrieren.« Gerhard Ruiss, Vorsitzender der IG-Autoren weist erst einmal daraufhin, dass sich erstmals alle drei großen österreichischen Schriftstellerverbände einem politischen Aufruf angeschlossen hätten. Er plädiert für eine »stärkere Vernetzung zwischen Kultur- und Menschenrechtsinitiativen“. Man werde einen langen Atem brauchen: »Das muss immer wieder geschüttelt werden, sonst setzt sich das wieder.« Peter Kreisky schließlich, unter anderem aktiv in der »Initiative für eine sozialistische Politik«, warnt vor der »fehlenden Bereitschaft, subkulturelle Grenzen zu überschreiten«. Man dürfe nicht nur große Mobilisierung betreiben, und dort, wo es um den konkreten Bürger gehe, versagen. Er verweist auf den Forderungskatalog der Demokratischen Offensive, der da lautet: Gleiche Rechte für alle in Österreich lebenden Menschen:

• Passives Wahlrecht für Betriebsrats-, Personalvertretungs-, Kammer- und Hochschülerschaftswahlen.

• Aktives und passives Wahlrecht auf kommunaler Ebene.

• Anpassung des Asyl- und Fremdenrechts an die Menschenrechtskonvention Antidiskriminierungsgesetze auf europäischen Standard (u. a. Arbeits- und Wohnungsmarkt) und

• eigenes Staatssekretariat für Integration - nicht im Innenministerium .