november 1999

Harald Friedl
gelesen

Wolf Haas »Silentium«

Rowohlt Taschenbuch, Reinbeck bei Hamburg, Juni 1999

Ein guter Krimi leistet mehr, als einen Kriminalfall, vorzugsweise einen mörderischen, elegant und spannend aufzulösen. Er ist ein treffendes Zeitdokument, ein Dokument der Machtzusammenhänge, ein Dokument der Verhaltensnormen und deren Überschreitung im Spannungsfeld einer in einem Verbrechen kulminierenden Extremsituation.

»Silentium«, der neue Kriminalroman von Wolf Haas aus Maria Alm, erfüllt diese Kriterien in hohem Maße. Der Roman spielt in einem Milieu, in dem sich Salzburger Festspiele und Salzburger Spitzenklerus personell überschneiden. Detektiv Brenner, bekannt auch schon aus den früheren Romanen von Haas, wird von der Kirche beauftragt, bösen Gerüchten nachzugehen: der Kandidat für den Bischofsstuhl soll Ministranten sexuell missbraucht haben. Im Laufe einer Psychotherapie gibt ein ehemaliger Zögling an, sich an entsprechende Vorkommnisse genau zu erinnern: »[...] natürlich Leistungsdruck, hat der auf einmal geglaubt, er muß sich an gewisse Dinge aus dem Jahre Schnee erinnern, sprich Hygieneunterricht in den Kellerduschen mit dem Spiritual Schorn.«

So weit die offensichtlichen Paralelen zum Fall Groer. Der therapierte junge Mann wird ermordet. Drei weitere Morde folgen. Brenners Ermittlungen konzentrieren sich schließlich auf den Dunstkreis eines christlichen Eheinstitutes, das sich als Kuppelbörse entpuppt, von der aus männliche Festspielstars mit ihren verkörperten sexuellen Vorlieben versorgt werden.

Dass die Aufklärung der Morde letzlich keine Meisterleistung logischer Beweisführung darstellt, tut der Qualität des Romans keinen Abbruch. Selbst Agatha Christie hat bei der Lösung ihrer Fälle meist geflunkert und auf Schwächeanfälle von in die Enge getriebenen Verdächtigen vertraut.

Reizvoller als die Wege des Protagonisten Brenner finde ich die Sprache von Wolf Haas (über sie wird auch im literarischen Feuilleton am liebsten berichtet). Haas lässt Verben nach Belieben weg, Halbsätze machen Tempo: »Witwe immer schwierig, weil Trauer und alles. Und in diesem Fall noch schlimmer als gewöhnlich, weil Witwe Tochter vom Festspielvize.« Er deutscht Dialektphrasen nach Lust und Laune ein, dass es einem preußischen Lektor die Zehennägel aufrollen muss. »Da hat es nämlich damals bei den Festspielen diesen argentinischen Tenor gegeben, und die Frauen natürlich vollkommen verrückt gespielt: Hotel belagert, Bühne gestürmt, alles! Weil wenn so ein Lateinamerikaner in den Schmalztopf greift, da werden ja die Bürgersfrauen oft ganz wild, das glaubst du gar nicht.«