november 1999

Ulrike Ramsauer
gelesen

Salzburg : Blicke

Herausgegeben von Helga Embacher, Ernst Fürlinger und Josef P. Mautner Residenz Verlag 1999

Die Schwarz-Weiß-Fotos zeigen vertraute Stadtansichten, das Pa-norama vom Mönchsberg aus gesehen und die Getreidegasse, erst auf den zweiten Blick irritieren die hellen Flächen, die durch Doppelbelichtungen entstehen: Am nächtlichen Himmel gleißen übergroße Weihnachtssterne, das Konterfei des Kindgenies ist als kleine Lichtprojektion am Giebel seines Geburtshauses wahrzunehmen. Die Salzburg-Bilder von Evgen Bavcar eröffnen eine radikal subjektive Perspektive auf die Stadt, das wird spätestens dann offensichtlich, wenn man erfährt, dass der in Slowenien geborene und in Paris lebende Fotograf seit seiner Kindheit blind ist. Mit seiner Kamera zeichnet er das auf, was jenseits seiner visuellen Gestalt wahrnehmbar ist, er selbst benennt seine Arbeitsweise »mit Licht schreiben.«

Evgen Bavcars Salzburg-Realität ist eine unter mehreren Sichtwesen, die die Anthologie »Salzburg : Blicke«, diesen Herbst im Residenz Verlag erschienen, vorstellt. Sein fotografisches Konzept bietet eine besonders reizvolle Möglichkeit, sich in unvoreingenommener Weise an die zur Ikone gewordene Stadt anzunähern. Den »universalen Mythos« Salzburg mit ihrer facettenreichen Wirklichkeit zu konfrontieren, das ist die Absicht der HerausgeberInnen, die somit ein absolut redliches, aber nicht gerade originelles Vorhaben angehen. Literarische und historische Beiträge sowie Essays, die sich mit der sozialen und politischen Salzburger Realität auseinandersetzen, sind nach topografischen Gesichtspunkten geordnet, nach den Schauplätzen Altstadt, Neustadt und Peripherie. Zu Wort kommen u.a. natürlich prominente kritische Stimmen, die in den letzten Jahren in verschiedenen Publikationen bekanntermaßen eine andere Perspektive auf Salzburg eröffnet haben, die LiteraturwissenschaftlerInnen Karl Müller und Christa Gürtler sowie die HistorikerInnen Ernst Hanisch und Helga Embacher.

Besonders erwähnenswert ist neben dem Text der mittlerweile in Berlin lebenden Autorin Kathrin Röggla »Stehen, sitzen, liegen. Orte für Sechzehnjährige« das Interview mit der Caritas-Flüchtlingsbetreuerin Katalyn Gombar über ihre Arbeit in der alten Feuerwache in Maxglan sowie ein Bericht von Tamara Gerstenfeld, der Tocher eines Exilsalzburgers aus Tel Aviv, über ihre erste Reise in die Stadt ihres Vaters.

Obwohl die Zusammenstellung der Beiträge mitunter beliebig anmutet, markiert der Sammelband »Salzburg : Blicke« einen respektablen weiteren Versuch, das Bild der schönen Stadt, das nicht nur die NS-Kulturpolitik für sich beansprucht hat, zu dekonstruieren.