november 1999

Thomas Neuhold

Das Ende der »sozialen Demokratie«

Über die rechte Schlagseite der österreichischen Gesellschaft

»Präsident Eser Weizman riet Österreichs Juden am Montag angesichts des Wahlerfolges der FPÖ unter Jörg Haider sofort das Land zu verlassen und nach Israel zu emigrieren.« (Salzburger Nachrichten, Dienstag, 5. Oktober 1999)

»Alles geht vorüber, alles geht vorbei. Zuerst der Führer, dann die Partei!« (Spottreim von Kindern aus der NS-Zeit)

»Plötzlich aber wurde aus der österreichischen Promenadenmischung eine reine Boulevardrasse, die wütend ihre Überfremdung bekämpft.« (Robert Menasse in »Dummheit ist machbar«, Sonderzahl Verlag, Wien 1999)

In der Wiener Tageszeitung »Der Standard« entbrannte wenige Tage vor den vergangenen Nationalratswahlen eine Diskussion um das Franz Vranitzky zugeschriebene Zitat vom Arzt, der notwendig wäre, wenn jemand Visionen habe. Wie sich herausstellte, hat Vranitzky dies tatsächlich nie gesagt. Der über das Monatsmagazin »profil« von Hubertus Czernin transportierte Satz hat aber Vranitzkys Haltung so punktgenau getroffen, dass er wahr sein hätte können. Deshalb blieb er auch ins kollektive Gedächtnis Österreichs eingebrannt.

Ebenfalls im »Standard« meinte der Schriftsteller Robert Menasse, dass der Unterschied zwischen SPÖ und FPÖ »wie der zwischen Pest und Cholera« wäre. Menasse bestritt später, dies so gesagt zu haben. Der Sager hatte aber ebenfalls punktgenau getroffen. Von Vielen wird er daher schon wieder als wahr empfunden.

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl lieferte dafür noch am Wahlabend die Bestätigung. Kein Wort der Kritik oder des Bedauerns kam ihm über die Lippen, kein Nachdenken über eine Kurskorrektur hin zu einer Ausländerpolitik nach humanen Grundsätzen war zu hören. Häupl bezeichnete die Ausländerpolitik der SPÖ vielmehr als unumstößlich und versprach einmal mehr einen Zuwanderungsstop. Nur »Überfremdung« sagte Häupl noch nicht. Aber das ist ja der Part von Karl Schlögl, dem wir die Wortschöpfung »Schübling« zu verdanken haben. Dass die Rechnung, der bessere Populist zu sein, nicht aufgehen kann, fällt offenbar niemand auf.

Politische Schieflage

Monokausale Erklärungen für die dramatische Entwicklung von Politik und Gesellschaft nach rechts greifen zu kurz. Es ist wohl ein Bündel an Ursachen, das die Erfolge in blau möglich macht.

Eine wenig greifbare "Wendesehnsucht" und der Wunsch der einfachen Leute in immer komplizierter werdenden Zeiten nach einfachen Antworten gehören sicher dazu.

Das gibt's anderswo freilich auch. Aber vergleicht man Österreich mit anderen Staaten der EU, die alle irgendwie (mindestens) eine mehr oder weniger starke Partei am äußerst rechten Rand haben, fällt auf, daß beinahe überall der extremen Rechten eine politisch organisierte und relativ starke Linke entgegensteht. Ein Wahlerfolg der DVU in einem deutschen Bundesland wird ebenso von der mächtigen PDS absorbiert, wie die italienischen Neofaschisten und die Lega Nord von den Wendekommunisten und der KP in Zaum gehalten werden. Die österreichische Politik hingegen hat schon traditionell eine Schieflage. Hierzulande gibt es keine organisierte linke Kraft, die Rechte kann sich ungehindert breit machen.

Nur nebenbei: Gelingt es der KPÖ sich das Image einer modernen Linkspartei zu verpassen und schafft sie es die Dogmatiker wie auch die grauen Parteieminenzen aus dem Bereich der KP-internen Vermögensverwaltung zu entmachten, kann sie aus der radikalisierten Situation sicher politisches Kapital schlagen.

Die SPÖ ist für die Haider-Kritiker jedenfalls kein Ansprechpartner mehr. Außer Kardinal Franz König, Heide Schmidt und Teilen der Grünen hat kaum jemand hierzulande seine Stimme gegen die Ausländerhatz erhoben. “Verfassungsbruch, Verletzung der Menschenrechte, Rassismus und Antisemitismus werden nicht mehr verschleiert, versteckt, heruntergespielt, sondern offen zum Prinzip stimmenmaximierender Politik gemacht, auch von Seiten der Regierung«, schreibt dazu Menasse.

Hegemonie

Dabei hatte die Sozialdemokratie über lange Jahre unbestritten die gesellschaftspolitische Hegemonie. Künstler, Intellektuelle, Medien, ja sogar Bürgerliche waren bereit mit der reformistischen Partei der Arbeiter und Angestellten »ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen«. Nur die Funktionäre und Apparatschiks gingen den Weg nicht mit. Die SPÖ war mit keiner Faser bereit mit der Vorherrschaft ihrer gesellschaftspolitischen Ideen offensiv Politik zu machen, den Kampf um die Köpfe zu führen. Von der Durchflutung aller gesellschaftlichen Bereiche mit Demokratie konnte keine Rede sein. Statt dessen werkten die Sozialpartner als nicht gewählte und verfassungswidrige Nebenregierung. Man teilte sich das Land einfach untereinander auf. Irgendwann mussten ja die Leute die Schnauze voll bekommen.

Als die ersten Risse in diesem System 1986 auftauchten - die Grünen im Parlament und Jörg Haider an der FPÖ-Spitze - ersetzte Vranitzky das reformistische Politikkonzept durch ein »radikal konservatives« (Menasse). Gelandet ist die SP bei der - politisch gesehen - tragisch hohlen Figur eines Viktor Klima und bei Andreas Rudas. Welcher Künstler, welcher Intellektuelle würde mit denen noch ein Stück gemeinsam gehen? Und wenn, welchen Weg?

Gespaltene Gesellschaft

Heute sind andere Werte mehrheitsfähig. Man ist nicht mehr christlich und sozial oder sozial und demokratisch, sondern hedonistisch und autoritär. Keine Frage, wohin sich die Modernisierungsverlierer, die Underdogs, die sozial Benachteiligten wenden. In der Stadt Salzburg, die immer schon ein paar Jahre vor der Entwicklung Österreichs voraus war, ist dies besonders deutlich. Bei den Nationalratswahlen verweigerte sich ein Drittel der Wahlbeteiligten völlig. Ein weiteres Drittel wählte FPÖ. Was bleibt da noch?

Hysterie ist freilich nicht angebracht. Nicht zuletzt wird die Mitgliedschaft in der EU wirtschaftliche und soziale Stabilität vorerst garantieren.

Trotzdem markiert der 3. Oktober 99 einen besonderen Punkt einer seit Jahren andauernden Entwicklung. Die innenpolitische Stabilität kann die EU nicht wiederherstellen. Spätestens seit dem Wahlsonntag ist die tiefgreifende Spaltung der Gesellschaft offenkundig. Eine re-formoffene, demokratisch, liberal und sozial gesinnte Minderheit steht einer rechten, autoritären und ras-sistischen Mehrheit gegenüber. Ein Teil der Intellektuellen verabschiedet sich vom gesellschaftlichen Diskurs, ein anderer Teil steht dem rechts wählenden Plebs mit offenem Misstrauen gegenüber. Wo sind die Zeiten, wo sich Künstler und Intellektuelle noch für die sozial Schwachen stark gemacht haben? Heute steht "der Prolet" rechts außen. Mit ihm will kaum jemand etwas zu tun haben.

Das gesellschaftliche Klima ist auf Jahrzehnte vergiftet. So gesehen erleben wir gerade tatsächlich das Ende der bisher gekannten Form der sozialen Demokratie in Österreich.