november 1999

Doc Holliday
titel

Reim ins Reich

Verdienen Krautwascheln Respekt oder: Wie links ist deutscher HipHop?

HipHop als Lebens- und Musikstil entstand Anfang der 70er Jahre in den gesellschaftlichen Randbezirken US-amerikanischer Großstädte. Jugendliche afroamerikanischer, afrokaribischer und hispanischer Abstammung definierten HipHop als ein Medium des Widerstands. Zwangsläufig bildeten Rassismus, Unterdrückung und der Ausweg aus diesen Zuständen die zentralen Themen. Manche US-Rapper setzen auf den schwarzen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus der Nation Of Islam. Andere haben überhaupt jeden Glauben an politisches Handeln verloren und geben sich einem düsteren Sozialdarwinismus hin. Die Rezeption des HipHop in der BRD hat unweigerlich zu zahlreichen Missverständnissen geführt. Durch die kulturindustrielle Vermittlung wurde bloß eine rebellische Ästhetik übernommen. Wenn MigrantInnen analog zur US-Situation das Konstrukt der Ethnisierung als Waffe aufgreifen, um rassistische Strukturen zu thematisieren, wird das ernste Anliegen auf eine verharmlosende exotische Ebene geschoben. Multikulturalismus hat noch nicht zwingend etwas mit linker Politik zu tun. Auch eine musikalisch bedeutende Band wie Advanced Chemistry aus Heidelberg verfallen in ihren Texten immer wieder in heimatverliebten Schwachsinn. Man bekennt sich verzweifelt dazu ein richtig guter, ja der bessere Deutsche zu sein. Obwohl das einer gefährlichen Drohung gleichkommt. Reimendes Gutmenschentum und multikulturelle politische Korrektheit schützen eben nicht vor Nationalismus und Tribalismus (wo rassistische Zuschreibungen dann plötzlich wieder eine Rolle spielen). Analog zu den USA (East versus West Coast) streiten sich im Reich eben die Stuttgarter Posses mit den Hamburgern. »Unity«, ein viel beschworener Ausdruck, hat nichts mit Solidarität zu tun. Wenn aus dem (Freizeit)Spaß Lohnarbeit wird, geht es im beinharten Konkurrenzkampf ausschließlich um die Marie. So werden die verbalradikalen B-Boys bald auf ihre S-Klasse stolz sein und den Stern nur mehr auf der Kühlerhaube tragen. Schon jetzt beherrschen Lifestyle-Fetischisten und flotte Jungunternehmer den Markt. Kein Wunder: seit 1998 boomt das Genre. Sprecher der Musikindustrie reiben sich die Hände und schwärmen: »HipHop ist das beste, was der deutschen Popmusik passieren konnte.« Dagegen hat auch eine gutgemeinte - bisweilen recht platte - Agit-Prop-Phrasendrescherei keine Chance. Wo linke Inhalte (auch wenn sie im richtigen Gestus serviert werden) zu Posen werden, scheint Vorsicht geboten. Achtung: Sprachrohrkrepierer!